Das dunkle Kapitel des Lyssenkoismus: Wissenschaft im Dienst der Ideologie

Der folgende Text über das dunkle wissenschaftshistorische Kapitel des Lyssenkoismus ist ein Auszug aus einem Artikel, der zuerst im ScienceSkepticalBlog erschien (Autor: Tritium). Urteilen Sie selbst, inwieweit Parallelen zu den aktuellen Klimawissenschaften zu erkennen sind.

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‘Wissenschaft’, insbesondere die Naturwissenschaft, hat einen bemerkenswerten Ruf; Wissenschaftler gelten als logisch, neutral, der Wahrheit verpflichtet und selbstkritisch. Das sind sie auch in den meisten Fällen, ganz in der Tradition der Aufklärung, die fordert:

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“
(Immanuel Kant)

Doch wie jedes Idealbild ist auch dieses unerreichbar. Tatsächlich wurde Wissenschaft immer wieder missbraucht und tatsächlich unterwarfen sich Wissenschaftler immer wieder der Leitung von Ideologen oder missbrauchten ihre wissenschaftliche Reputation um eine politisch-ideologische Karriere zu machen. Ein besonders krasser Fall war Trofim Lyssenko der eine ganze Nation jahrelang wissenschaftlich in die Irre führte. Wikipedia schreibt über ihn:

Trofim Denissowitsch Lyssenko (1898-1976) war ein sowjetischer Biologe und Agronom, der unter Josef Stalin großen politischen Einfluss erlangte. Seine Theorie des Lyssenkoismus, nach der Erbeigenschaften durch Umweltbedingungen bestimmt werden, war wissenschaftlich unhaltbar und widersprach den bereits zu Lyssenkos Zeiten bekannten Grundlagen der Genetik. Einige seiner Forschungsergebnisse wurden als Fälschung entlarvt.

Lyssenko wäre unter anderen Umständen ein unbekannter Agronom geblieben, der allenfalls in Fachkreisen eine gewisse Reputation für die züchterische Verbesserung von Feldfrüchten und Nutztieren erlangt hätte. Doch die Sowjetunion war im Würgegriff einer totalitären Ideologie, die in alle Lebensbereiche eingriff, auch in die Landwirtschaft. Die politisch motivierte Kollektivierung führte nicht zum erhofften und versprochenem Resultat einer Leistungssteigerung, sondern geradewegs in den Niedergang und damit verbunden zu Hungersnöten.

Da Ideologen niemals zugeben, dass sie etwa selbst an Problemen schuld sein könnten, war die Kollektivierungsmaßnahme jedoch trotz ihres offensichtlichen Misserfolgs unantastbar. Der Hunger erforderte jedoch schnelle und durchgreifende Maßnahmen.
Im Jahr 1931 beschloss daher das Zentralkomitee der KPdSU, dass das Getreide an den Missernten schuld sei: Schnellstens sollten neue Sorten gezüchtet werden, die besser angepasst höhere und zuverlässigere Ernten erbringen sollten. Doch bahnbrechende Fortschritte in der Pflanzenzucht brauchten damals, vor der Entdeckung der Hybridisierung und der Gentechnik, viel Zeit. Zeit stand aber nicht zur Verfügung. Die Ideologie war an eine unüberwindliche Grenze gestoßen. Besser gesagt: Das Zentralkomitee verlangte nichts weniger als ein Wunder. Und genau hier kam der ehrgeizige Lyssenko ins Spiel.

Schon vorher war er einer unkritischen und sensationslüsternen Presse aufgefallen: 1927 erzählte er einem Reporter der ‘Pravda’, er könne Felder ohne Düngemittel und Mineralien fruchtbar machen. Das ist natürlich unwissenschaftlicher Unfug; seit Liebig ab dem Jahr 1840 die Agrochemie begründete, wissen wir unzweifelhaft, dass Pflanzen sich von Mineralsalzen, CO2, Licht und Wasser ernähren und dass keine dieser Komponenten ersetzbar ist und dass keine weiteren Komponenten gebraucht werden oder einen tatsächlichen physiologischen Nutzen hätten.

Doch Lyssenko passte ins Schema, er war ‘barfüßig’, also bäuerlicher Herkunft, im Gegensatz zu den etablierten Wissenschaftlern, die damals noch aus dem ‘bourgeoisen’ Milieu stammten. Er versprach eine ‘Revolution’ im revolutionären Russland und er fand offenbar den richtigen ‘sozialistischen’ Ton. Und so wurde ein ‘Experte’ geboren, dem die Presse gierig an den Lippen hing.

Mit diesem Ruf trat er nun auf und versprach, das vom Zentralkomitee geforderte Wunder zu vollbringen. Er selbst glaubte natürlich an sich und ein Liebling der Presse war er ohnehin. Die Funktionäre glaubten ihm, weil sie glauben wollten. Als selbst Stalin an ihn glaubte, war sein Aufstieg sicher. Für alle Beteiligten war es eine Win-Win-Situation und ein selbstverstärkender Prozess nahm seinen Lauf, der Trofim Lyssenko ganz an die Spitze spülte: Er wurde zum führenden Biologen der Sowjetunion, Präsident der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften, Leninpreisträger, Stalinpreisträger, Mitglied des Obersten Sowjet etc. etc.

Gegen diese politisch-propagandistische Karriere und Machtübernahme hatten die konventionellen Wissenschaftler, obwohl international angesehen, keine Chance. Ihnen fehlten ganz einfach das Talent und der Wille, sich auf diese Art Gehör zu verschaffen. Es ist ja bekannt: Ein Scharlatan kann in einer Stunde mehr Postulate aufstellen als ein Wissenschaftler in einem ganze Leben widerlegen kann. Die wissenschaftliche Diskussion versagt regelmäßig, wenn der Scharlatan sich nicht an die Spielregeln hält, in der öffentlichen Meinung gewinnt der geschicktere Demagoge.

Natürlich blieben die praktischen Misserfolge der unsinnigen Thesen nicht aus. Sobald Lyssenko die Macht hatte, seine Ideen auch real anzuwenden, stand er vor einem Richter, der sich durch Demagogie nicht beirren lässt: Den nackten Produktionszahlen.
Doch die landwirtschaftlichen Erträge sind von vielen Faktoren abhängig, sie sind so zufällig wie das Wetter, von dem sie in erster Linie abhängen. Entsprechend breit sind die Möglichkeiten zur selektiven Wahrnehmung und zur Manipulation. So lange die Stimmung positiv ist, ist die Presse nur zu gerne bereit, zufällig günstige Ereignisse aufzublähen und schlechte zu ignorieren und das Publikum ist nur zu gerne bereit, sich in seinem einmal geweckten Glauben bestätigen zu lassen und auch die Regierenden sind dann zufrieden, da für sie die Stimmung, von der ihre Macht ja ausschließlich abhängt, weitaus wichtiger ist als materielle Ergebnisse. Das gilt sogar für intelligente und kritische Politiker, ihre Währung ist nun einmal nicht, wie bei einem Manager, der buchhalterische Ertrag, sondern die Gunst der Öffentlichkeit.

Von dieser Woge getragen steigerte sich Lyssenkos Wahn, im Stakkato verkündete er immer neue Erfolge: Frostresistenter Weizen, dürreresistente Kartoffeln, Verdreifachung der Ernten, Wunderkühe mit beispielloser Milchleistung. Das atemlose Publikum wurde durch diese immer neuen Meldungen nicht nur in seinem Glauben bedient, sondern es fand vor allem keine Zeit, danach zu fragen, was denn nun wirklich an handfesten praktischen Ergebnissen vorliegt. Da sah es nämlich gar nicht gut aus. Es kam immer wieder zu schlechten bis katastrophalen Ernteausfällen, großangelegte Experimente scheiterten völlig. Aber es war so gut wie unmöglich geworden, den Kurs zu wechseln, alle saßen in einem Boot, Lyssenko, die Presse und Stalin selbst. Ein Scheitern zuzugeben, wäre einfach zu blamabel gewesen. Deshalb war niemals Lyssenko schuld an den Misserfolgen, sondern, falls sie überhaupt zur Sprache kamen, ‘Saboteure’.

Widerstand aus den Reihen der etablierten Wissenschaft machte Lyssenko mit politischen Mitteln mundtot: Er forderte in der Akademie der Wissenschaften eine ‘Einheitsfront’ und wer sich dem Lyssenkoismus nicht anschloss, geriet ins Visier des NKWD und notfalls ins Straflager. Erst eine Veränderung der politischen Landschaft – Stalins Tod und Chrustschows Machtübernahme – beendete diese bemerkenswerte Karriere, allerdings zu sehr auskömmlichen Bedingungen; Lyssenko wurde nicht erschossen, sondern ins zweite Glied zurückversetzt und durfte sich weiter Pflanzenzüchtungen widmen.

Sein Werk aber hatte nicht nur die Biologie als Wissenschaft in der Sowjetunion und den WP-Blockstaaten auf Jahrzehnte vergiftet. sondern Millionen Menschen das Leben gekostet, nicht zuletzt in Maos China, wo seine Ideen noch fanatischer zur Staatsdoktrin erhoben wurden und mit dazu beitrugen, die verheerendsten Hungersnöte in der Geschichte der Menschheit auszulösen.

Der Lyssenkoismus

Wissenschaft im Dienst der Politik: Lyssenko und sein Schutzherr Stalin

Der Lyssenkoismus war ein Auswuchs des Umstandes, dass ein pseudowissenschaftlicher Ansatz aus ideologischen Gründen in einer totalitären Diktatur mit allen Mitteln gefördert wurde. (Wiki)

Diese Definition greift zu kurz! Sie ist zu bequem und zu selbstsicher. Lyssenkoismus ist nicht auf Lyssenko und nicht auf stalinistische Diktaturen als Nährboden beschränkt. Es handelt sich vielmehr um ein geradezu universelles Phänomen, das sowohl zeitlos wie unabhängig von der Gesellschaftsform ist. Die Definition des englischen Wiki kommt dem näher:

Lysenkoism is used metaphorically to describe the manipulation or distortion of the scientific process as a way to reach a predetermined conclusion as dictated by an ideological bias, often related to social or political objectives

(Übersetzung: Lyssenkoismus ist eine Methapher für die Manipulation oder Entstellung/Verzerrung des wissenschaftlichen Findungsprozesses um zu einem vordefinierten Ergebnis zu kommen, welches durch ideologische Voreingenommenheit diktiert wird und oft soziale oder politische Ziele verfolgt.)

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Die „Wissenschaft“ des Dr. Lyssenko wurde auch von Heinrich Zankl in seinem Buch „Fälscher, Schwindler, Scharlatane – Betrug in Forschung und Wissenschaft“ thematisiert. Hier einige Auszüge (S. 68ff):

Die Mendelsche Vererbungslehre galt bei den Kommunisten ohnehin als klerikal-reaktionärer Irrglaube. Man lehnte die Genetik aber vor allem auch deshalb ab, weil die angestrebte schnelle Entstehung des „Sowjetmenschen“ durch eine entsprechende Erziehung nur dann möglich erschien, wenn man möglichst alle erblichen Einflüsse auf die menschliche Entwicklung verleugnete. […]

Kritiker, die [Lyssenkos] Aussagen anzweifelten, machte er mundtot, indem er ihre politische Zuverlässigkeit anzweifelte. Da ein solcher Vorwurf damals durchaus lebensgefährlich sein konnte, regte sich bald von Seiten der seriösen Wissenschaftler so gut wie kein Widerspruch mehr. Gleichzeitig sorgte Lyssenko systematisch dafür, dass seine Gefolgsleute alle wichtigen Posten im agrar-wissenschaftlichen Bereich besetzten, sodass er bald auf eine solide Hausmacht bauen konnte. […] 1940 wurde Lyssenko zum Direktor des Instituts für Genetik der Akademie der Wissenschaften ernannt. Diese Ernennung war besonders makaber, da er ja eher Feind der Genetik war und alles unternahm, um die genetisch orientierte Wissenschaft zu unterdrücken. Eines von Lyssenkos prominentesten Opfern war der Genetiker Nikolaj Vavilov. Er kritisierte couragiert die Pseudowissenschaft Lyssenkos. Daraufhin wurde er 1940 verhaftet und als Spion für England zum Tode verurteilt. Die Todesstrafe wurde zwar in eine 10-jährige Haftstrafe umgewandelt, aber Vasilov starb 1943 in einem Lager an Unterernährung. Während seiner Gefangenschaft ernannte ihn die Royal Society in London zu ihrem auswärtigen Mitglied. […]

Es wurde viel darüber geschrieben, wieso es einem wissenschaftlichen Scharlatan wie Lyssenko gelingen konnte, über Jahrzehnte einen ganzen Wissenschaftszweig einer Weltmacht zu dominieren und letztendlich zu ruinieren. Der englische Physiker John Ziman schrieb dazu: „Das schrecklichste Merkmal des Lyssenkoismus war die scheinbare Normalität der Wissenschaftsorganisation, innerhalb der diese falsche Lehre existierte. Die Tragödie liegt nicht bei den wenigen, die durch unwiderstehliche Gewaltandrohung gezwungen wurden zu schweigen… sie liegt bei den vielen, die die Doktrin akzeptierten … und sie nicht an ihrer eigenen Vernunft überprüften.“ Zweifellos ist der Lyssenkoismus eines der abschreckendsten Beispiele für eine politische Indoktrinierung der Wissenschaft.

Auszüge aus: Heinrich Zankls Buch „Fälscher, Schwindler, Scharlatane: Betrug in Forschung und Wissenschaft (Erlebnis Wissenschaft)

 

Lyssenko-Foto: Wikipedia / Lizenz: This work is in the public domain in Russia according to article 6 of Law No. 231-FZ of the Russian Federation of December 18, 2006