GeoForschungsZentrum Potsdam: Satellitenbeobachtungen zu kurz um Meeresspiegelanstieg bis 2100 abzuschätzen

In den vergangenen Jahren traten immer wieder Klimawissenschaftler mit ernstem Gesicht vor die Kamera und verkündeten, die Küsten würden bis zum Ende des Jahrhunderts untergehen, die Sintflut wäre nahe. Darüber würde angeblich Konsens unter den Experten herrschen.

Dass aber gerade dies nicht der Fall ist, zeigt eine neue Arbeit, die am 14. Juli 2013 im Fachmagazin Nature Geoscience erschienen ist. Eine internationale Forschergruppe um Bert Wouters vom Bristol Glaciology Centre untersuchte den Zusammenhang zwischen dem Abschmelzen der Polkappen und der Entwicklung des Meeresspiegels. Die Wissenschaftler stellten fest, dass derzeit noch unklar ist, inwieweit die Messdaten durch langfristige Trends beeinflusst werden und welcher Anteil auf die natürliche Variabilität zurückgeht. Einen Konsens gibt es laut Wouters und Kollegen hierüber nicht, ebensowenig über den sich daraus ergebenden Meeresspiegelanstieg bis 2100. Die Beobachtungsreihen sind gemäß der neuen Studie noch zu kurz, um hier klare Aussagen tätigen zu können. An der Studie war unter anderem auch Ingo Sasgen vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam beteiligt. Hier die Kurzfassung der Studie im englischen Original (Fettsetzung ergänzt):

The Greenland and Antarctic ice sheets have been reported to be losing mass at accelerating rates. If sustained, this accelerating mass loss will result in a global mean sea-level rise by the year 2100 that is approximately 43 cm greater than if a linear trend is assumed. However, at present there is no scientific consensus on whether these reported accelerations result from variability inherent to the ice-sheet–climate system, or reflect long-term changes and thus permit extrapolation to the future. Here we compare mass loss trends and accelerations in satellite data collected between January 2003 and September 2012 from the Gravity Recovery and Climate Experiment to long-term mass balance time series from a regional surface mass balance model forced by re-analysis data. We find that the record length of spaceborne gravity observations is too short at present to meaningfully separate long-term accelerations from short-term ice sheet variability. We also find that the detection threshold of mass loss acceleration depends on record length: to detect an acceleration at an accuracy within ±10 Gt yr−2, a period of 10 years or more of observations is required for Antarctica and about 20 years for Greenland. Therefore, climate variability adds uncertainty to extrapolations of future mass loss and sea-level rise, underscoring the need for continuous long-term satellite monitoring.

Der Focus und die Frankfurter Allgemeine Zeitung („Unsicher auf dem Grönlandeis“, 17.7.2013) berichteten dankenswerterweise über die Studie. Das GFZ gab zur Studie die folgende Pressemitteilung heraus:

Nimmt das Eis in Grönland immer stärker ab? Beschleunigter Eismassenverlust könnte ‚Eisschildwetter‘ sein  

Schwimmende Eisberge vom größten Gletscher Grönlands, Jakobshavn Isbrae. Die glatte Seite zeigt den Teil des Eisbergs, der bereits durch unterseeischem Schmelzen aus dem Gleichgewicht gebracht wurde und gekippt war.

12.07.2013 | Potsdam: Die Zeitdauer der Satellitenbeobachtungen der grönländischen und antarktischen Eisschilde ist derzeit noch zu kurz, um sagen zu können, ob der heute gemessene beschleunigte Verlust der Eismassen in Zukunft fortdauern wird. Dieses Ergebnis stellt ein Forscherteam um Bert Wouters von der University of Bristol in der aktuellen Online-Ausgabe von „Nature Geosciences“ vor. An der Studie ist auch das Deutsche GeoForschungsZentrum GFZ beteiligt. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass Vorhersagen des Meeresspiegelbeitrags beider Eisschilde bis zum Jahr 2100 um mehr als 35 cm zu hoch oder zu niedrig sein könnten.
Die Wissenschaftler werteten neun Jahre an Daten der Schwerefeld-Satelliten GRACE aus. Die GRACE-Messungen haben gezeigt, dass beide Eisschilde erhebliche Mengen an Eis verlieren – etwa 300 Milliarden Tonnen pro Jahr. Dabei nimmt die Rate zu, mit der diese Verluste erfolgen: Im Vergleich zu den ersten Jahren der GRACE-Mission hat sich der Beitrag beider Eisschilde zum Anstieg des Meeresspiegels in den letzten Jahren fast verdoppelt. Die Ursachen dieses beschleunigten Eismassenschwunds geben den Wissenschaftlern weiterhin Fragen auf: Neben der anthropogen bedingten Erwärmung werden die Eisschilde durch eine Vielzahl natürlicher Prozesse beeinflusst, wie z.B. Variationen im Schneefall und langsame Veränderungen der Meeresströmungen.
Neun Jahre sind, klimatologisch gesehen, ein sehr kurzer Beobachtungszeitraum. „Man könnte hier eher von Wetter als von Klima reden“, sagt Bert Wouters. „Dieses ‚Eisschild-Wetter‘ kann langfristige Beschleunigung überdecken, oder aber eine Zunahme des Eismassenverlusts suggerieren, die sich tatsächlich aber in einem längeren Zeitraum ausgleichen könnte“, ergänzt Co-Autor Ingo Sasgen vom GFZ. „Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Beobachtung der Eisschilde mit Satelliten.“  Insbesondere die langfristigen Tendenzen von Prozessen, die mit dem Klima wechselwirken, sind aus kurzen Beobachtungsdatensätzen allein nur bedingt herauszufiltern. Um den Beitrag des Schmelzens der Eisschilde zum  künftigen Anstieg des Meeresspiegels besser identifizieren und genauer vorhersagen zu können, soll mit der Folgemission GRACE-Follow On ab 2017 die Beobachtung weiter fortgesetzt werden.

B. Wouters, J.L. Bamber, M.R. van den Broeke, J.T.M. Lenaerts and I. Sasgen, „Limits in detecting acceleration of ice sheet mass loss due to climate variability”, Advance Online Publication, Nature Geoscience 10.1038/ngeo1874, 14. 07. 2013

 

Foto: Ingo Sasgen, GFZ.